Jubiläumskirchen

Diese eben noch zu erkennende Inschrift findet sich auf einem Granitblock in einer Außenwand der Kirche in Bialutten (Białuty, PL), einer von vierzehn ostpreußischen „Jubiläumskirchen“. Leider machte das verfallende Gebäude zum Zeitpunkt dieser Aufnahme im Jahr 2014 diesem schönen Namen keine Ehre mehr.

Bialutten

Ein kurzer geschichtlicher Rückblick: Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen, krönte sich (selbst) am 18. Januar 1701 in Königsberg zum ersten König in Preußen und nannte sich als solcher fortan Friedrich I. Als man 1901 das 200jährige Jubiläum der Thronbesteigung beging, bezeichnete „Preußen“ längst das gesamte Herrschaftsgebiet der Regenten in Berlin. Das Ursprungsland, das weit im Nordosten gelegene Herzogtum, war zur „Provinz Ostpreußen“ geworden.

Die Reformation hatte in diesem Landesteil früh und flächendeckend Fuß gefasst. Luther persönlich schwärmte: „Das Evangelium fähret in Preußen mit vollen Segeln“. Die kirchliche Versorgung jedoch war noch um das Jahr 1900 in der ländlich strukturierten, dünn besiedelten Region unzureichend. Die Gemeinden umfassten ausgedehnte Bezirke, der Weg zu den Gotteshäusern war weit. Zur Verbesserung dieser Situation wurde ein Komitee aus kirchlichen und staatlichen Würdenträgern gegründet, dessen Ziel die Errichtung von neuen Kirchen war. Die Schirmherrschaft übernahm die Gattin des Kaisers.

Letztendlich wurden dank großzügiger Spenden in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts vierzehn sogenannte „Jubiläumskirchen“ in ganz Ostpreußen errichtet. Eine von ihnen ist die gut erhaltene Kirche in Adlig Kessel (Kociołek Szlachecki, PL) in Masuren. An allen Gebäuden wurde eine identische Steinplatte angebracht, die unter der reliefartigen Darstellung einer Kreuzigungsszene folgende Inschrift enthält:

Unter der Regierung Kaiser Wilhelms und dem Protektorate der Kaiserin Auguste Viktoria erbaut in dankbarer Erinnerung an die zweihundertjährige Jubelfeier des Königtums in Preußen mit Hülfe freiwilliger Beiträge aus allen Teilen der Provinz

Die Tafel, Ausdruck der engen Verbindung zwischen dem Staat und der evangelischen Kirche in Preußen, schließt ab mit dem Preußenadler inmitten der beiden Jahreszahlen 1701 und 1901.

Der Ort Puppen (Spychówko, PL) liegt im Süden des früheren Ostpreußens, Kanitz (Olszewo Węgorzewskie, PL; vor 1938 Olschöwen) unweit der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad. Die Ansichten der beiden ähnlichen Gebäude zeigen, dass sich die Entwürfe der Architekten am historisierenden Stil der Kaiserzeit orientierten.

In Ostpreußen sah man sich seiner geschichtlichen Tradition verpflichtet und versuchte, die Architektur der Ordenszeit nachzuahmen. Spitzbogige Fenster, Portale und Blenden, seitliche Strebepfeiler und Maßwerkornamente sind typische Elemente der mittelalterlichen Backsteingotik. Die Anordnung des Turms seitlich des Hauptschiffes findet sich bei mehreren der Bauten.

Korschen (Korsze, PL) entwickelte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge des Ausbaus der Eisenbahnlinien, die sich hier kreuzten, zu einem größeren Ort. Durch den Zuzug von Bahn- und Postbediensteten war auch hier der Bedarf für eine eigene Kirche entstanden.

Das gut erhaltene Gebäude wird heute von der polnisch-orthodoxen Kirche genutzt. Konsequent ist man in Korschen mit der Aussage der Gedächtnistafel umgegangen. Die christliche Symbolik ist erhalten, die Erinnerung an die preußische Vergangenheit wurde ausradiert.

Die meisten Bauvorhaben sahen auch die Errichtung eines Pfarrhauses vor. Im früheren Kassuben (Illjinskoje, RUS) im Kaliningrader Bezirk sind von der Kirche nur Mauerreste vorhanden, das Pfarrhaus hat Kriegs- und Nachkriegszeit überdauert. Ein Verbindungstrakt zwischen Pfarrhaus und nebenstehender Kirche war als Konfirmandensaal konzipiert. Auch er ist nicht mehr erhalten. Die folgende Bauzeichnung zeigt den ursprünglichen Zustand.

Kassuben, Pfarrhaus und Kirche (Quelle: Die Jubiläumskirchen in Ostpreußen, Berlin 1912)

Wie in Kassuben findet man von den anderen Jubiläumskirchen im Kaliningrader Bezirk und im Memelland, das heute zu Litauen gehört, kaum noch eine Spur. Vor einigen Jahren habe ich im früheren Groß Schorellen (Saratowskoje, RUS; 1938 – 1945 Adlerswalde) noch den Turmstumpf der Pfarrkirche aufspüren können. Der Ort existiert nicht mehr, die Umgebung ist sumpfig und nahezu entvölkert.

In Groß Lenkeningken (Lesnoje, RUS; 1938 – 1945 Groß Lenkenau) ist der Taufstein das Einzige, was noch an die Kirche erinnert. Aufgestellt auf einer Grasfläche wirkt er wie verloren, sinnentleert.

Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht…

Dieser Spruch, der vielen von uns bei der Taufe „in die Wiege“ gelegt wurde, ist unter dem Rand des Steins eingraviert. Eigentlich stehen die Worte Jesu doch für einen hoffnungsvollen Anfang im Reich Gottes…

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