St. Prokulus Naturns

Zwei Rinder und ein Hund mit heraushängender Zunge – diese Darstellung gehört zu einer Reihe von Malereien in der Kirche von Naturns in Südtirol, die als die ältesten im deutschen Sprachraum gelten.

Ansicht von Südwesten

St. Prokulus in Naturns ist eine winzige Kirche in den Bergen des Vinschgaus. Etwas außerhalb des alten Ortskerns inmitten von Obstwiesen gelegen, fasziniert das kleine Gotteshaus nicht allein als Fotomotiv in einer idyllischen Landschaft. Vielmehr lässt es den Besucher in die frühe Zeit des Christentums in einem abgelegenen Tal der Alpen eintauchen. Nur etwa fünf mal fünf Meter misst der Innenraum der Kirche, an dessen Ostwand ein bogenförmiger Mauerdurchbruch zum Altarraum führt. Fast archaisch wirkt die schlichte steinerne Altarmensa im Mittelpunkt des niedrigen gewölbten Chors.

Chor

Zwei Engel mit einem Kreuzstab und langem Gewand umsäumen den Triumphbogen, dessen Laibung mit betenden Gestalten ausgemalt ist. Die Malereien stammen aus den Anfängen des Kirchenbaus im 8. Jahrhundert. Neben diesen Motiven aus der Welt des Glaubens stehen tierische Darstellungen, die den alltäglichen Bereich der bäuerlichen Bevölkerung widerspiegeln. Die drei im Titelbild gezeigten Tierköpfe markieren die Spitze eines Rinderzuges, der von zwei nur als Fragment erhaltenen Männern angeführt wird.

Der Heilige auf der Schaukel

Natürlich schaukeln Heilige in der Regel nicht, aber eben diesen Eindruck ruft eine Darstellung an der Südwand des Kirchenraumes hervor. Eine Person mit einem Heiligenschein wird an zwei Seilen von einer Mauer herabgelassen. Drei unter einem Dach stehende Gestalten (der Kopf der mittleren ist nicht erhalten) beobachten ihn. Auch eine Gruppe außerhalb der Mauer, aus Männern und Frauen bestehend, hat ihre Blicke auf den Heiligen gerichtet.

Eine – nicht gesicherte – Auslegung dieser ungewöhnlichen Szene besagt, es könne sich um den heiligen Prokulus handeln, der als Bischof von Verona aus der Stadt fliehen musste. Die Figuren mit ihren weit geöffneten Augen und den Pupillen, die die Blickrichtung angeben, erinnern etwas an moderne Karikaturen, doch auch diese Malerei wurde vor mehr als 1200 Jahren erschaffen.

Im 14. Jahrhundert wurden an der Kirche bauliche Veränderungen vorgenommen. Aus dieser Zeit stammt auch der Glockenturm im Osten. Durch eine Erhöhung der Seitenwände des Langhauses entstanden im Inneren freie Flächen oberhalb der frühmittelalterlichen Ausmalung. Die Motive der in dieser Zeit entstandenen Malereien wirken vertrauter. Mariendarstellungen und Szenen aus dem Leben Jesu Christi wie die Ankunft der drei Könige und das Letzte Abendmahl schmücken die oberen Wandabschnitte. Ergänzt wird das umfangreiche Bildprogramm der Kirche in Naturns durch die Darstellung der Schöpfungsgeschichte an der südlichen Außenwand.

Südwand, Erschaffung Evas , Sündenfall

Den Tiroler Bergbauern öffnete sich beim Kirchgang eine Bibel in Bildern. Ihnen, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren, wurden christliche Glaubensinhalte so eindrucksvoll vermittelt.

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