„Ich liege und schlafe ganz in Frieden, denn allein Du, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne“
Die Worte des vierten Psalms bilden die Randbeschriftung eines Epitaphs an der Nordseite der Kirche in Prawdinsk (früher Friedland), das zum Gedenken an den im Jahre 1696 gestorbenen Johannes Poszarge angefertigt wurde. Das Zunftzeichen der Bäcker, eine Brezel mit zwei weiteren Gebäckstücken, verrät die Berufsgruppe des Verstorbenen.
Eine zweite Steintafel, deren Inschrift nicht mehr zu erkennen ist, erinnert an einen anderen Bürger der kleinen Stadt im russischen Teil Ostpreußens. Zwei gekreuzte Beile unter einem Stierkopf weisen ihn als Mitglied der Fleischerzunft aus.


Während die äußere Hülle der Kirche den Krieg nahezu unbeschädigt überstanden hatte, wurde die Innenausstattung vollkommen vernichtet oder entwendet. Die Epitaphien waren die einzigen Überreste, die an die lange Zeit des Gebäudes als Ort des Glaubens erinnerten. Jahrzehntelang zur Lagerhalle umfunktioniert, wurde die Kirche, deren Anfänge aus dem 14. Jahrhundert datieren, in den 1990iger Jahren von der russisch-orthodoxen Kirche übernommen und dient seitdem wieder als Gotteshaus.


Spitzbogige Fenster und Portale, Strebepfeiler an den Außenwänden, die reichhaltige Gestaltung des Ostgiebels und die Blendengliederung des Turms weisen die Kirche in Friedland als einen typischen Beispiel Bau der Backsteingotik aus. Das stattliche Gebäude, das an den Längsseiten mehrere Anbauten aufweist, die als Sakristei, Vorhalle und Kapellen dienten, unterscheidet sich in Größe und Ausführung von den kleineren Dorfkirchen der Umgebung.


Der Innenraum wird durch kräftige Achteckpfeiler in drei Schiffe unterteilt, die mit kunstvollen Gewölben abschließen. Leider wurden die Gewölbekappen im Zuge der Instandsetzung des Raumes mit einem farbigen Anstrich versehen.
Das Fehlen jeglicher Sitzgelegenheiten und die Ikonenwand anstelle des Hochaltars der früheren evangelisch-lutherischen Gemeinde unterstreichen die heutige Nutzung des Gebäudes als Gotteshaus für orthodoxe Christen. In einer Ecke des Kirchenraumes gibt es einen Stand, an dem Ikonenbilder und Kerzen verkauft werden, die man zum Gedenken dort aufstellen kann.


Die Kirche war von alters her dem heiligen Georg gewidmet, einem Heiligen, der auch in der orthodoxen Kirche verehrt wird. Im Jahr 2011 wurde in einer Blendnische über dem Turmportal ein Relief mit der Darstellung Georgs im Kampf mit dem Drachen angebracht.
Der Geistliche, der neben der Kirche wohnt, gab mir vor einigen Jahren die Gelegenheit, den Turm zu ersteigen. Nach anstrengendem Aufstieg auf einer Holztreppe, an der Glocke vorbei, zwischen einem Balkengewirr hindurch, erreicht man den Laufgang im Obergeschoss, der wie bei einer Burg von einem Zinnenkranz umgeben ist. Belohnt wird man in luftiger Höhe mit einem weiten Rundumblick, der vom Kirchendach über die Stadt weit in die Landschaft geht.


Beim Abstieg schließlich bietet sich noch ein Blick auf die Glocke, deren Gravur interessante Informationen gibt. Da ist zunächst das Wappen, in dem die Buchstaben F (Friedrich), W (Wilhelm) und R (Rex) ineinander verschlungen sind. Die Glocke ist zu Zeiten des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. Anfang des 18. Jahrhunderts gegossen worden. Die latinisierte Inschrift am unteren Rand nennt auch den Glockengießer:

Georgius Bernhardus Kinder Regiomontanus
Georg Bernhard Kinder in Königsberg war offenbar ein recht gefragter Hersteller von Glocken. Seiner Werke hängen nach wie vor in vielen Kirchtürmen. Einige sind übrigens über Umwege auch in den Westen Deutschlands gelangt, wie zum Beispiel in die Andreaskirche in Hildesheim. Während des Krieges zum Einschmelzen abgehängt und auf sogenannten Glockenfriedhöfen zwischengelagert, entgingen sie ihrem Schicksal und wurden nach dem Krieg an anderer Stelle wieder verwendet.