Lummelunda – Wie aus einem Pippi-Langstrumpf-Buch entnommen klingt dieser Ortsname auf der schwedischen Insel Gotland mitten in der Ostsee. In Lummelunda steht eine von über neunzig Landkirchen auf Gotland, von denen die meisten im Mittelalter erbaut wurden und – allesamt vorbildlich restauriert – noch heute vom damaligen Wohlstand auf der Insel zeugen. Das Christentum hielt erst Anfang des elften Jahrhunderts Einzug auf Gotland, muss aber bald auf große Zustimmung bei der Bevölkerung gestoßen sein. Wie anders kann man sich sonst eine solch hohe Dichte an Kirchengebäuden erklären?

Romanik und Gotik – die Kirche in Lummelunda vereint beide Baustile des Mittelalters. Das kleine Langhaus mit seinem rundbogigen Portal stammt wie der Turm aus romanischer Zeit. Der schlanke höhere Chor mit einer Dreiergruppe spitzbogiger Fenster im Westen und dem von einem Wimperg abgeschlossenen Südportal wurde im 14. Jahrhundert erbaut.




Romanisch oder gotisch – das äußere Erscheinungsbild der Kirchen wirkt auf den ersten Blick recht uniform. Ihre meist verputzten und hell weiß gestrichenen Außenwände leuchten im Sonnenschein aus der grünen, dünn besiedelten Insellandschaft hervor. Fast immer stehen sie inmitten des Gemeindefriedhofs, der oft noch von einer alten Mauer eingerahmt wird. Und doch ist letztlich jede der vielen gotländischen Landkirchen ein Unikat.


Gotländische Kirchen laden ein. Sie sind, zumindest im Sommer, alle geöffnet. Auch der Besen vor der Pforte ist ein Zeichen für Gastfreundschaft. Er vertreibt, so sagen es die Schweden, die bösen Geister und lässt nette Gäste ins Haus.
Das Hineingehen in eines dieser Gotteshäuser ist wie ein Eintauchen in die Anfänge des Christentums, in eine Zeit, in der der Mensch sich von bösen Mächten bedroht fühlte, im Glauben aber Hoffnung, Zuversicht und Erlösung erfuhr. Dieses „Eintauchen“ beginnt schon beim Durchschreiten der Portale der Inselkirchen, die oft kunstvoll mit skulpturalen Ausschmückungen gestaltet sind.


Am Langhausportal in Gammelgarn werden dem Eintretenden gleich zwei biblische Schlüsselszenen vor Augen geführt. Neben dem Sündenfall Adam und Evas mit der Vertreibung aus dem Paradies ist hier der Brudermord des Kain dargestellt. Die personifizierte Sünde in Gestalt eines Dämons mit weit aufgerissenen Mund (dem allerdings Ketten angelegt sind) sticht besonders hervor.


Auf die besondere Bedeutung der Taufe, bei der uns schon am Anfang unseres Lebens Gottes Gnade und die Vergebung der Sünden zugesprochen werden, weisen die vielen Taufsteine der Inselkirchen hin. Als wesentlicher Ausstattungsgegenstand stammen viele von ihnen bereits aus der Zeit der Gründung und Erbauungszeit der Kirchen. Von unbekannten Steinmetzen aus heimischem Kalk- oder Sandstein erschaffen, sind sie mit Ornamenten, Aposteln, Heiligenfiguren und biblischen Szenen dekoriert, deren Darstellung oft volkstümliche Züge trägt. Apropos eintauchen: in den Anfangszeiten des Christentums wurde der „ganze“ Täufling im Taufbecken eingetaucht.






Das Bildprogramm der Steinplastik von Portalen und Taufsteinen setzt sich im Kirchenraum fort. Die hohen Wände und Gewölbe boten umfangreiche Flächen für Ausmalungen, die den Besucher noch heute in eine illustrierte Glaubenswelt versetzen. Die Malereien erfüllten didaktische, gelegentlich rein „unterhaltende“ Funktionen oder dienten schlichtweg zur Dekoration. Die Kirche in Masterby ist eine derjenigen, in denen ein großer Teil der Ausmalung erhalten ist.


Die Wandmalereien der Kirchen in Bunge und Endre stellen verschiedene Abschnitte der Heilsgeschichte dar. In Bunge ist unter einer Kreuzigung ein Kampf zwischen Rittern abgebildet. Die Langhäuser beider Bauten sind durch mittelständige Säulen in zwei gewölbte Schiffe gegliedert, ein auf Gotland häufig anzutreffendes architektonisches Merkmal.




Nach der Reformation wurde das Innere der gotländischen Landkirchen im Sinne der protestantischen Glaubensausrichtung verändert, wobei radikale bilderstürmerische Aktionen ausblieben. Aufwändig gestaltete Kanzeln, Gemeindegestühle und Liedertafeln sowie Altaraufsätze aus Sandstein prägen seitdem den Kirchenraum.




Gerade in der nachreformatorischen Zeit hinterließen viele Menschen persönliche Zeichen ihrer Dankbarkeit in den Gotteshäusern. Davon zeugen Epitaphien, Inschriften an gestifteten Ausstattungsgegenständen oder auch die vielen im Kirchenschiff aufgehängten Votivschiffe. Über ein spektakuläres Ereignis mit glücklichem Ausgang berichtet die „Große Robbentafel“ in der Kirche auf Farö, einer nördlich von Gotland gelegenen kleineren Insel.

Text und Bild erzählen von einem Unglück aus dem Jahr 1603. Abgebildet sind 15 Männer mit Pelzmützen. Sie stehen auf einer weißen Scheibe, in den Händen halten sie verschiedene Instrumente. Vier erlegte Robben liegen zu ihren Füßen.
Fünfzehn Robbenfänger hatten sich damals auf der vereisten Ostsee offenbar zu weit hinausgewagt. Nachdem das Eis hinter ihnen gebrochen war, trieben sie auf einer Eisscholle vierzehn Tage lang auf dem Wasser und wurden schließlich an der Küste Schwedens angelandet. Alle Männer überlebten.
„Danksagung an Gott…“ so ist das Gebet am unteren Rand der Tafel betitelt, mit dem man lange später, am 20. April 1618, der wundersamen Rettung gedachte.